Sachverhalt

Ein Steuerpflichtiger nahm im Jahr 2019 die so genannte Forderungsabschreibung (Berichtigung der USt bei Uneinbringlichkeit einer Forderung) in Bezug auf Rechnungen aus den Jahren 2017-2018 in Anspruch, die vom Geschäftspartner nicht vollständig bezahlt wurden. Das Finanzamt lehnte jedoch die Forderungsabschreibung ab, da der Schuldner sich zum Zeitpunkt der Berichtigung im Liquidationsverfahren befand, was nach damals geltenden Vorschriften des polnischen USt-Gesetztes das Recht auf Berichtigung ausschloss. Infolgedessen beschloss der Steuerpflichtige zunächst, auf die Forderungsabschreibung zu verzichten.

Am 15.10.2020 wurde jedoch ein wichtiges Urteil des Europäischen Gerichtshofs gefällt (Rechtssache C‑335/19), in dem der EuGH feststellte, dass bestimmte Regelungen des polnischen USt-Gesetzes bzgl. der Forderungsabschreibung dem EU-Recht entgegenstehen (mehr dazu in unserem Artikel – Link).  Diesem Urteil zufolge sollte u.a. ein laufendes Umstrukturierungs- bzw. Liquidationsverfahren des Schuldners keine Bedeutung bei der Anwendung der Berichtigung haben.

Im Zusammenhang mit dem obigen Urteil kam der im ersten Absatz erwähnte Steuerpflichtige zu dem Schluss, dass ihm das Recht auf Forderungsabschreibung trotz des Ablaufs der Zweijahresfrist weiterhin zustehe, da die Bedingung, die ihm den Anspruch auf Forderungsabschreibung verwehrte, für unrechtmäßig erklärt worden war. Darüber hinaus war der Steuerpflichtige der Meinung, dass er die gebotene Sorgfalt beachtet habe und die Situation einen Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer darstelle. Deshalb beantragte er im April 2021 eine individuelle Steuerauskunft zur Klarstellung, ob ihm weiterhin das Recht auf Forderungsabschreibung zustehe und diese trotz Ablauf der Zweijahresfrist in Anspruch genommen werden könne.

Standpunkt der polnischen Steuerbehörde

Forderungsabschreibung

Der Leiter der Nationalen Finanzauskunft entschied am 07.07.2021 in der individuellen Steuerauskunft, die Forderungsabschreibung sei nicht mehr möglich. Die Steuerbehörde erklärte, dass dafür die in den polnischen Vorschriften genannten Bedingungen kumulativ erfüllt sein müssten. Obwohl in dem Fall eine der Bedingungen nach dem Urteil des EuGH C‑335/19 mit dem EU-Recht nicht übereinstimmte, seien die sonstigen Voraussetzungen (also die zweijährige Frist) zu beachten. Der Leiter der Nationalen Finanzauskunft wies auch darauf hin, dass die erwähnte Vorschrift bzgl. der zweijährigen Frist vom EuGH nicht als unvereinbar mit dem EU-Recht beanstandet wurde und daher weiterhin in Kraft bleibt.

Der Steuerpflichtige legte daraufhin gegen die individuelle Steuerauskunft Klage ein.

Urteil I SA/Gd 1240/21 des Wojewodschaftlichen Verwaltungsgerichts in Danzig

Im Urteil I SA/Gd 1240/21 vom 15.02.2022 gab das Wojewodschaftliche Verwaltungsgericht in Danzig dem Steuerpflichtigen Recht. Das Gericht stellte fest, dass die zweijährige Frist für die Berichtigung in diesem Fall nicht gilt, da die nationalen Vorschriften zum Status des Schuldners dem EU-Recht entgegenstanden, was dazu führte, dass die Forderungsabschreibung dem Steuerpflichtigen verwehrt oder zumindest erheblich erschwert wurde. Nach Ansicht des Gerichtshofs sollte somit in diesem besonderen Fall die Vorschrift bzgl. der zweijährigen Frist außer Acht gelassen werden, da die nicht ordnungsgemäße Umsetzung der Bestimmungen der MwSt-Richtlinie laut EuGH-Urteil C‑335/19 die Anwendung der Forderungsabschreibung beeinflusste.

Dieses Urteil ist nicht rechtskräftig.

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