Gesamtschuldnerische Haftung des Erwerbers – allgemeine Regelung

Laut Art. 205 der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem können die EU-Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine andere Person als der Steuerschuldner gesamtschuldnerisch für die Zahlung der Mehrwertsteuer haftet. Bulgarien hat im Einklang mit dieser Vorschrift Bestimmungen über die gesamtschuldnerische Haftung des Erwerbers für die vom Lieferer nicht gezahlte Mehrwertsteuer und die daraus resultierenden Verzugszinsen eingeführt.

Hintergrund

Mit der Problematik beschäftigte sich kürzlich der EuGH im Urteil C 4/20 vom 20. Mai 2021, in dem der folgende Sachverhalt dargestellt wurde:

Der Fall betraf ein bulgarisches Unternehmen, das von einer anderen bulgarischen Firma landwirtschaftliche Maschinen erwarb. Diese waren zuvor in Großbritannien gekauft und im Rahmen des innergemeinschaftlichen Warenerwerbs nach Bulgarien transportiert worden. Das bulgarische Unternehmen zog die Vorsteuer für den Warenerwerb ab. Zwei Jahre nach diesem Geschäft entdeckten die bulgarischen Steuerbehörden, dass der Verkäufer die geschuldete Steuer für die inländische Lieferung nicht gezahlt hatte. Darüber hinaus stellte sich heraus, dass beide Unternehmen von demselben Buchhaltungsbüro betreut wurden und der innergemeinschaftliche Erwerb von Maschinen aus Großbritannien von einem dritten Unternehmen finanziert wurde, dessen Gesellschafter in den Vorständen der beiden bulgarischen Unternehmen saßen. Außerdem hatte einer von ihnen den Transport der Maschinen aus Großbritannien organisiert.

Standpunkt der bulgarischen Steuerbehörde

Die Steuerbehörde kam zu dem Schluss, dass beide Unternehmen die Absicht hatten, das Gesetz zu umgehen. Der bulgarische Erwerber habe selbst den Erwerb der landwirtschaftlichen Geräte durch den Verkäufer im Rahmen des innergemeinschaftlichen Erwerbs zum Zwecke der unrechtmäßigen Abrechnung der Mehrwertsteuer veranlasst und genau gewusst, dass der Verkäufer die geschuldete Steuer nicht zahlen würde. Somit hafte der Erwerber gesamtschuldnerisch sowohl für die ausstehende Steuer als auch für die Verzugszinsen.

gesamtschuldnerische Haftung des Erwerbers

Das Unternehmen legte gegen diese Entscheidung Berufung ein; der Streit landete schließlich vor dem Kassationsgerichtshof. Das Gericht setzte das Verfahren aus und fragte den EuGH, ob die gesamtschuldnerische Haftung des Erwerbers für nicht entrichtete Steuern nach Art. 205 der Richtlinie 2006/112/EG auch Verzugszinsen umfassen kann.

Entscheidung des EuGH

Noch vor der Verkündung des Urteils reagierte die Generalanwältin des EuGH, Juliane Kokott, auf das Problem. Nach ihrer Ansicht ist Art. 205 der Richtlinie 2006/112/EG dahingehend auszulegen, dass er der Einbeziehung von Verzugszinsen in die gesamtschuldnerische Haftung entgegensteht.

Der Gerichtshof vertrat jedoch die Auffassung, Artikel 205 der Richtlinie sei vereinbar mit nationalen Vorschriften der EU-Mitgliedstaaten, nach denen der Gesamtschuldner für alle mit der nicht bezahlten Steuer zusammenhängenden Elemente und somit auch für Verzugszinsen haftet. Wenn der Steuerpflichtige wisse oder habe wissen müssen, dass sein Vertragspartner die geschuldete Steuer an das Finanzamt nicht zahlen würde, und er gleichzeitig das Recht auf Vorsteuerabzug selbst ausübe, habe er dem Missbrauch der Mehrwertsteuer freiwillig zugestimmt und müsse nun alle Konsequenzen, einschließlich der Zahlung von Verzugszinsen, tragen. Der Fiskus müsse nämlich in der Lage sein, die geschuldete Steuer und alle damit zusammenhängenden Elemente von jedem der an dem Betrug beteiligten Unternehmer zurückzufordern.

Fazit

Es gilt zu betonen, dass der Steuerpflichtige, der möglicherweise gesamtschuldnerisch für die Steuer und die Verzugszinsen haftet, die Möglichkeit haben sollte, nachzuweisen, dass er nicht wissentlich an der missbräuchlichen Praxis beteiligt war. Er sollte auch nachweisen, dass er seine Gegenpartei und das Geschäft mit der erforderlichen Sorgfalt überprüft hat – in solchen Fällen sollte grundsätzlich seine gesamtschuldnerische Haftung ausgeschlossen werden.

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