Die Regelungen hins. der Vorlage von Liefernachweisen müssen unbeschadet anderer Grundsätze der EU sein

Laut Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem befreien die EU-Mitgliedstaaten innergemeinschaftliche Lieferungen u.U. von der USt. Gemäß Art. 131 dieser Richtlinie sollte diese Befreiung unbeschadet anderer Grundsätze der Vorschriften der Europäischen Union und unter den Bedingungen angewandt werden, die die EU-Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiung und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen.

Hinsichtlich der Grundsätze der EU besagt der Grundsatz der Gleichwertigkeit, dass die Verfahrensvorschriften in Fällen, die den Schutz von Rechten nach dem Recht der EU gewährleisten sollen, nicht ungünstiger sein dürfen als in vergleichbaren Verfahren mit nationalem Charakter. Der Effektivitätsgrundsatz der EU verlangt, dass das nationale Recht nicht so gestaltet wird, dass es die Ausübung der durch die Rechtsordnung der EU verliehenen Rechte in der Praxis unmöglich macht oder übermäßig erschwert. Nach dem Grundsatz der Steuerneutralität der EU ist die Befreiung von der USt zu gewähren, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, auch wenn der Steuerpflichtige bestimmte formale Anforderungen nicht erfüllt hat.

Hintergrund

Mit der Problematik beschäftigte sich kürzlich der EuGH im Urteil C-664/21 vom 2. März 2023, in dem der folgende Sachverhalt dargestellt wurde:

Der Fall betraf ein schweizerisches Unternehmen, das innergemeinschaftliche Lieferungen aus Slowenien durchführte. Während der Steuerprüfung stellte sich heraus, dass das Unternehmen nicht über alle Liefernachweise im Zusammenhang mit den innergemeinschaftlichen Lieferungen verfügte und sich nicht bemüht hat, sie zu erhalten. Die Steuerbehörde erstellte den Bericht über die Steuerprüfung und stellte es der Gesellschaft  zu. In seiner fristgerecht eingereichten Stellungnahme zum Bericht legte die Firma die fehlenden Liefernachweise vor. Darüber hinaus begründete das Unternehmen die verspätete Vorlage von Liefernachweisen damit, dass das Büro, das für die innergemeinschaftlichen Lieferungen aus Slowenien zuständig war, seine Tätigkeit einstellte und dem Unternehmen nicht fristgerecht alle erforderlichen Unterlagen übermittelte.

 Standpunkt der slowenischen Steuerbehörde

Da die Gesellschaft die Liefernachweise bereits nach Erstellung des Berichtes über die Steuerprüfung

einreichte, entschied die Steuerbehörde, dass die Liefernachweise nicht berücksichtigt werden. Außerdem erließ die Steuerbehörde den Bescheid zur Festsetzung der Steuerschuld, in dem sie die Gesellschaft zur Zahlung der zusätzlichen USt aufforderte.

Die Firma legte Berufung gegen den Bescheid ein, die aber durch die Behörde zweiter Instanz zurückgewiesen wurde. Der Fall gelangte schließlich vor den Obersten Gerichtshof in Slowenien, der entschied, eine Frage an den EuGH zu stellen.

Frage an den EuGH

Der EuGH wurde gefragt, ob die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG (insbesondere Art. 131 und 138 Abs. 1) und die Grundsätze des Rechts der Europäischen Union (insbesondere die Grundsätze der steuerlichen Neutralität, der Effektivität und der Verhältnismäßigkeit) einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es verbietet, neue Beweise im Rahmen von Einsprüchen zu dem Bericht über die Steuerprüfung, der vor der Entscheidung über die Höhe der Steuerschuld ausgestellt wurde, vorzulegen, um nachzuweisen, dass die Waren an den Erwerber im Bestimmungsland geliefert wurden.

Entscheidung des EuGH

Nach Auffassung des EuGH kann in einer Situation, in der die Steuerbehörde zum Zeitpunkt, zu dem der Steuerpflichtige zusätzliche Nachweise zur Stützung seines geltend gemachten Rechts vorlegt, noch keine Entscheidung über die Höhe der Steuerschuld des Steuerpflichtigen erließ, die Berücksichtigung dieser Nachweise abgelehnt werden. Die Ablehnung sollte jedoch auf besonderen Umständen beruhen, wie insbesondere dem Fehlen jeglicher Rechtfertigung für die Verzögerung oder dem Umstand, dass die Verzögerung einen Verlust an Steuereinnahmen verursachte.

Vorlage von Liefernachweisen

Darüber hinaus stellte der EuGH fest, dass eine nationale Regelung, die es dem Steuerpflichtigen auf dieser Etappe des Verfahrens nicht ermöglicht, die fehlenden Nachweise vorzulegen, und die möglichen Erläuterungen dafür, warum diese Nachweise nicht früher vorgelegt wurden, nicht berücksichtigt, schwer mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der EU sowie mit dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer zu vereinbaren ist.

Der EuGH entschied, dass das Oberste Gerichtshof in Slowenien zu beurteilen hat, ob die Ablehnung der Liefernachweise im vorliegenden Fall mit dem Effektivitäts- und dem Gleichwertigkeitsgrundsatz  der EU vereinbar ist.

Was bedeutet dieses Urteil?

Steuerpflichtige, die sich in einer ähnlichen Situation wie in dem Urteil befinden und das Problem der fristgerechten Vorlage von Liefernachweisen haben, können  auf das oben genannte Urteil verweisen. Die polnischen Vorschriften sehen jedoch vor, dass der Steuerpflichtige nach Meldung der IG-Lieferung mit der Steuer wegen Nichterhalt der Liefernachweise seine Abrechnung entsprechend korrigieren und die IG-Lieferung ohne Steuer abrechnen darf, sollte er die Liefernachweise (sogar nach Ablauf bestimmter Fristen) erhalten. Daher erscheint es fraglich, dass das vorliegende Urteil im Fall von aus Polen erbrachten IG-Lieferungen hilfreich sein könnte.

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