Rückwirkende Registrierung vs. Reverse-Charge-Verfahren

Grundsätzlich hat der Verkäufer die Pflicht, die geschuldete Steuer abzurechnen. Laut Art. 17 Abs. 1 Pkt. 4 und 5 des polnischen USt-Gesetzes gilt allerdings in einigen Fällen der Erwerber als zur Abrechnung der geschuldeten Steuer verpflichteter Steuerpflichtiger, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. So darf z.B. der Verkäufer nicht für die Zwecke der USt in Polen registriert sein.

Hier stellt sich eine wichtige Frage – existiert eine „rückwirkende Registrierung“ für die USt, wenn z.B der Verkäufer nach Entstehen der Steuerpflicht im Registrierungsantrag ein früheres Datum als Datum der Aufnahme der Geschäftstätigkeit in Polen angibt? Bedeutet dies, dass der Registriervorgang auf einen früheren Zeitraum übertragen wird, was wiederum Einfluss auf Anwendbarkeit des Reverse-Charge-Verfahrens hat?

Schilderung des Sachverhaltes

Mit der Problematik beschäftigte sich kürzlich das Oberste Verwaltungsgericht im Urteil I FSK 95/19, das einen unserer Mandanten betraf. In dem Urteil wurde der folgende Sachverhalt dargestellt:

Ein deutsches Bauunternehmen führte in Polen Projekte für drei Auftraggeber durch, die im Rahmen des Reverse-Charge-Verfahrens abgerechnet wurden. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass einer der Auftraggeber (Auftraggeber Nr. 3) keine USt-Betriebstätte in Polen besaß, was jedoch als Voraussetzung für die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens gilt. Allerdings hatte er dem Bauunternehmen zuvor mitgeteilt, dass er berechtigt sei, die erworbenen Leistungen im Rahmen des Reverse-Charge-Verfahrens abzurechnen.

rückwirkende Registrierung

Die deutsche Gesellschaft, unser Mandant, beschloss daher, eine USt-Registrierung in Polen vorzunehmen und im Registrierungsantrag ein früheres Datum (zeitgleich mit der Durchführung der Projekte für die beiden übrigen Auftraggeber) als Datum der Aufnahme der Geschäftstätigkeit in Polen anzugeben. Die Firma beabsichtigte, ihre früheren USt-Abrechnungen zu korrigieren (d.h. nach der allgemeinen Grundregelung die geschuldete Steuer als Verkäufer zu melden), allerdings nur diese zur Abrechnung des Projektes für Auftraggeber Nr. 3. Das Unternehmen war der Meinung, dass die Abrechnung der Projekte für die übrigen Auftraggeber nicht korrigiert werden müsste, da die Bedingungen für die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuerpflicht für diese Projekte erfüllt waren. Unser Mandant stellte jedoch zur Sicherheit einen Antrag auf individuelle Steuerauskunft.

Standpunkt der Steuerbehörde und des Wojewodschaftlichen Verwaltungsgerichts

Die Steuerbehörde hielt die Ansicht des Unternehmens für falsch. Der Antragsteller legte daraufhin gegen die individuelle Steuerauskunft Beschwerde ein. Das Wojewodschaftliche Verwaltungsgericht in Warschau teilte den Standpunkt des Antragstellers ebenfalls nicht und wies die Klage gegen die individuelle Steuerauskunft ab. Das Gericht wies darauf hin, dass man nicht selektiv Steuerpflichtiger sein könne, z.B. nur zum Zweck der Abrechnung eines einzelnen Projektes.

Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts

Das Oberste Verwaltungsgericht vertrat eine andere Auffassung und stimmte dem Standpunkt des Antragstellers aus dem Antrag auf individuelle Steuerauskunft vollumfänglich zu. Es verwies auf den Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 Pkt. 4 und 5. Laut diesen Vorschriften hänge die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens im vorliegenden Fall von der tatsächlichen USt-Registrierung des Verkäufers in Polen zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuerpflicht ab (und nicht etwa von der Verpflichtung zur USt-Registrierung); d.h. das Reverse-Charge-Verfahren findet Anwendung, sofern der Verkäufer zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuerpflicht für die Zwecke der USt in Polen nicht registriert ist.

Wurden zum Zeitpunkt des Entstehens der Steuerpflicht die Bedingungen des Art. 17 Abs. 1 Pkt. 4 und 5 für die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens erfüllt, wonach der Erwerber zur Abrechnung der geschuldeten Steuer verpflichtet war, übertrage eine nachträgliche Registrierung des Verkäufers die Verpflichtung zur Abrechnung der geschuldeten Steuer nicht auf den Verkäufer. Es sei unerheblich, ob der Verkäufer nach Entstehen der Steuerpflicht im Registrierungsantrag ein rückwirkendes Datum als Datum der Aufnahme der Geschäftstätigkeit in Polen angebe. Dies führe nämlich nicht zur Übertragung der Registrierung auf einen früheren Zeitraum; eine „rückwirkende Registrierung“ gebe es nicht.

Fazit

Dies ist eine gute Nachricht für Steuerpflichtige. Das Urteil I FSK 95/19 sollte die bisherige bizarre Praxis von Steuerbehörden und Gerichten umkehren. Denn dieses Urteil bestätigt, was bisher nicht ausdrücklich gesagt wurde: eine „rückwirkende Registrierung“ für die USt gibt es nicht. Es gibt nur eine Registrierung ab der Einreichung des Registrierungsantrags. Für rückwirkende Zeiträume kann man höchstens Erklärungen einreichen und die geschuldete Steuer und Vorsteuer abrechnen.

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