Definition des Vorsteuerüberschusses

Wenn die Summe des Vorsteuerbetrags auf den Kauf von Waren und Dienstleistungen aus dem laufenden USt-Abrechnungszeitraum und des eventuellen Vorsteuerguthabens aus dem vorherigen USt-Abrechnungszeitraum höher ist als die Umsatzsteuer aus dem laufenden USt-Abrechnungszeitraum, entsteht ein Vorsteuerüberschuss (Vorsteuerguthaben). Ein Steuerpflichtiger kann nach Art. 87  Abs. 1 des polnischen USt-Gesetzes den Vorsteuerüberschuss auf zweierlei Art nutzen – die Erstattung des Guthabens beantragen (sog. direkte Erstattung) oder das Vorsteuerguthaben auf den nächsten USt-Abrechnungszeitraum übertragen (sog. indirekte Erstattung). In der Praxis wird der Vorsteuerüberschuss manchmal über Jahre hinweg übertragen. Will der Steuerpflichtige dann nach Jahren das Vorsteuerguthaben nutzen, vertreten die polnischen Steuerorgane den Standpunkt, dass der Vorsteuerüberschuss bereits verjährt sei. Zu dieser Thematik hat das Oberste Verwaltungsgericht am 24.02.2021 in der Rechtssache I FSK 126/20 ein Urteil gefällt.

Sachverhalt

Die Sache betraf ein Unternehmen, das zwischen Juli 2004 und Juni 2009 das gleiche Vorsteuerguthaben auf den nächsten Abrechnungszeitraum übertragen hatte. Aufgrund steuerbarer Umsätze im Juli und August 2009 wurde das Vorsteuerguthaben teilweise mit der fälligen Steuer verrechnet. Das ausstehende Vorsteuerguthaben wurde anschließend jahrelang (bis 2013) unverändert  auf die weiteren Abrechnungsperioden übertragen. 2018 stellten jedoch die polnischen Steuerorgane fest, dass der bis 2004 entstandene Vorsteuerüberschuss, der bis 2009 übertragen wurde, bereits 2009 verjährt sei und somit nicht mehr in den folgenden USt-Meldungen ausgewiesen werden dürfe Der Steuerpflichtige akzeptierte diesen Standpunkt nicht, woraufhin der Streitfall von polnischen Gerichten beurteilt werden musste.

Urteil

Sowohl das Wojewodschaftliche Verwaltungsgericht in Warschau im Urteil III SA/Wa 373/19 als auch das Oberste Verwaltungsgericht im Urteil I FSK 126/20 gaben dem Steuerpflichtigen Recht, dass der Vorsteuerüberschuss weiterhin vom Steuerpflichtigen ausgewiesen werden konnte. Die Gerichte beider Instanzen erklärten, dass der Vorsteuerüberschuss durch den Übertrag in einem folgenden Abrechnungszeitraum Bestandteil einer etwaigen Steuerschuld im neuen Abrechnungszeitraum ist. Das bedeutet, dass der Vorsteuerüberschuss aus einem Abrechnungsmonat nach der Übertragung im folgenden Abrechnungsmonat einen neuen Vorsteuerüberschuss darstellt.

Das Oberste Verwaltungsgericht bemerkte, dass weder im USt-Gesetz noch in der Abgabenordnung das Recht, den Vorsteuerüberschuss zu übertragen, zeitlich beschränkt ist. Hierzu erklärte das Gericht, dass die im Art. 70 Abs. 1 der Abgabenordnung gegebene fünfjährige Verjährungsfrist (gerechnet ab Ende des Jahres, in dem die Frist für die Bezahlung der Steuer abgelaufen ist) vor allem die Abrechnung der Steuer durch den Steuerpflichtigen und eventuelle Korrekturen der Abrechnungen betrifft. Ebenso werden die Steuerorgane durch diese Frist beschränkt, z.B. bei der Kontrolle der Abrechnung des Steuerpflichtigen. Das heißt, dass die Steuerorgane nach der Verjährung den Vorsteuerüberschuss nicht kontrollieren und ändern dürfen. Aus diesem Grund hätten die Steuerorgane im Jahr 2018 im gegebenen Fall frühestens die USt-Abrechnung des Steuerpflichtigen für Dezember 2012 kontrollieren können. Die Angaben (u.a. die Höhe des Vorsteuerguthabens), die in den USt-Meldungen für die vorherigen Abrechnungsmonate ausgewiesen wurden, waren somit 2018 als endgültig anzusehen, sodass die Steuerorgane nicht mehr die Richtigkeit der USt-Abrechnungen vor Dezember 2012 in Frage stellen konnten.

Im Anschluss daran stellte das Oberste Verwaltungsgericht fest, dass die Endgültigkeit des Vorsteuerüberschusses nach Ablauf der Verjährungsfrist für den Steuerpflichtigen feststehen soll, vor allem, wenn die Richtigkeit dieses Betrags von den Steuerorganen zuvor nicht bestritten wurde.

Vorheriges Urteil

Das Oberste Verwaltungsgericht bezog sich ebenfalls auf eines seiner früheren Urteile zur Übertragung des Vorsteuerüberschusses (Urteil I FSK 685/19 vom 14.01.2020) – dieses Urteil wurde in unserem Blog bereits besprochen – Link. Das Gericht beurteilte damals, dass die Erstattung des Vorsteuerguthabens nicht beantragt werden kann, wenn die aus dem Vorsteuerguthaben resultierende Vorsteuer wegen Verjährung nicht mehr vom Finanzamt kontrolliert werden kann.

Das Oberste Verwaltungsgericht führte im neuesten Urteil vom 24.02.2021 eine andere Auslegung der Vorschriften ein mit der Behauptung, dass es nicht zulässig sei, nach Ablauf der Verjährungsfrist das Recht, das Vorsteuerguthaben auf weitere Abrechnungsperioden zu übertragen, in Frage zu stellen. Die Steuerorgane haben alle Möglichkeiten (sowohl die Zeit als auch die Befugnis), vor Ablauf der Verjährungsfrist eventuell fehlerhafte Umsatzsteuerabrechnungen eines Steuerpflichtigen zu ändern. Wenn die Abrechnungen innerhalb der gesetzlichen Frist nicht kontrolliert werden, kann der Vorsteuerüberschuss somit nicht mehr geändert werden.

Fazit

Es scheint, dass das erwähnte Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts I FSK 126/20 vom 24.02.2021 den Steuerpflichtigen ermöglicht, das Vorsteuerguthaben ununterbrochen auf weitere Abrechnungsperioden zu übertragen. Da die Rechtsprechung der polnischen Gerichte zu diesem Thema nicht einheitlich ist, sollten die Steuerpflichtigen unseres Erachtens erwägen, den Vorsteuerüberschuss sicherheitshalber vor Ablauf der Frist für die Verjährung der USt-Meldung auszunutzen.

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