Welche Bedeutung hat die feste Niederlassung?
Der Begriff „feste Niederlassung“ ist u.a. von Bedeutung in Bezug auf die Bestimmung des Dienstleistungsortes. Laut Art. 44 der Richtlinie 2006/112/EG gilt als Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, der Ort, an dem dieser Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Werden diese Dienstleistungen jedoch an einer festen Niederlassung des Steuerpflichtigen erbracht, die an einem anderen Ort als dem des Sitzes seiner wirtschaftlichen Tätigkeit gelegen ist, so gilt als Ort dieser Dienstleistungen der Sitz der festen Niederlassung.
Wie definiert man die feste Niederlassung?
Gemäß Art. 11 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 gilt als „feste Niederlassung“ jede Niederlassung mit Ausnahme des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden.
Schilderung des Sachverhaltes
Mit der Problematik beschäftigten sich kürzlich die Steuerbehörden in der individuellen Steuerauskunft 0114-KDIP1-2.4012.302.2020.2.RST vom 03.11.2020, in der der folgende Sachverhalt dargestellt wurde:
Ein deutsches Unternehmen befasst sich mit der Herstellung und dem Verkauf von Textilerzeugnissen für Kinder. Die Gesellschaft arbeitet mit einer polnischen Nähwerkstatt zusammen. Im Rahmen der Zusammenarbeit stellt das Unternehmen der Nähwerkstatt eine technische Beschreibung der fertigen Produkte sowie Materialien zur Verfügung, aus denen die Nähwerkstatt Textilprodukte (Kinderdecken, Kissen usw.) herstellt. Nach der Herstellung werden diese vom Lager der Nähwerkstatt:
- zum Lager der Gesellschaft in Deutschland transportiert, oder
- direkt zu Lagern der B2B-Kunden (d.h. anderer Gesellschaften) des Unternehmens in anderen EU-Ländern geliefert.
Die Fertigprodukte werden für einen bestimmten Zeitraum in den Räumlichkeiten der Nähwerkstatt gelagert. Die Vergütung für die Lagerung ist in der Rechnung für die Produktionsleistungen enthalten. Die Nähwerkstatt koordiniert auch die Organisation der Warenbeförderung von ihrem Lager zum Lager der Gesellschaft in Deutschland und zu B2B-Kunden des Unternehmens in anderen EU-Ländern. Das Unternehmen beschäftigt in Polen keine Mitarbeiter und entsendet keine der in Deutschland beschäftigten Mitarbeiter nach Polen. Die Mitarbeiter der Nähwerkstatt arbeiten nicht unter der Aufsicht des Unternehmens. Das Unternehmen besitzt bzw. mietet keine Räumlichkeiten in Polen.
Zusammenarbeit mit einem E-Commerce-Unternehmen
Darüber hinaus erwirbt die Gesellschaft eine Leistung von einem E-Commerce-Unternehmen, dank derer sie ihre Produkte an B2C-Kunden (d.h. Privatpersonen) in anderen EU-Ländern als Polen verkaufen kann. Die Leistung besteht in der Lagerung, Verpackung und Kennzeichnung der Produkte des Unternehmens und deren Versand an dessen B2C-Kunden.
Im Rahmen dieser Leistung teilt die Gesellschaft dem E-Commerce-Unternehmen mit, wann sie welche und wie viele Produkte liefern möchte. Nach dieser Ankündigung weist dieses Unternehmen der deutschen Firma eines von mehreren Lagern (in Polen oder einem anderen EU-Land) zu, in welches die Produkte transportiert werden sollen. Diese Leistung beinhaltet die Möglichkeit, dass das E-Commerce-Unternehmen die Produkte der deutschen Firma aus dem Lager, in das die Produkte vom Lager der Nähwerkstatt transportiert wurden, in eigene Lager in anderen Ländern befördert; dies erfolgt auf der Grundlage einer vom Unternehmen durchgeführten Analyse über die Nachfrage nach Produkten der deutschen Firma auf ausländischen Absatzmärkten. Die Gesellschaft hat keinen Einfluss auf die Entscheidungen des E-Commerce-Unternehmens hinsichtlich des Transports ihrer Produkte zwischen Lagern in verschiedenen EU-Ländern.
Die Gesellschaft wollte wissen, ob eine feste Niederlassung in Polen vorliege und wie die von der Nähwerkstatt bzw. von dem E-Commerce-Unternehmen erworbenen Dienstleistungen abzurechnen seien.
Entscheidung der Steuerbehörden
Die Steuerbehörden waren der Ansicht, dass die Gesellschaft eine feste Niederlassung in Polen besitzt, u.a. weil sie die Kontrolle über das Personal und die technische Ausstattung der Nähwerkstatt hat. Es ist nämlich nicht notwendig, dass der Steuerpflichtige über eigenes Personal und eigene technische Einrichtungen verfügt, um eine feste Niederlassung in einem Land zu begründen, solange die Verfügbarkeit von fremden Einrichtungen mit der Verfügbarkeit eigener Einrichtungen vergleichbar ist.
Abrechnung der Dienstleistungen der Nähwerkstatt
Nach Auffassung der Steuerbehörden sind die Dienstleistungen, die das deutsche Unternehmen von der Nähwerkstatt erwirbt, folgendermaßen abzurechnen:
- Werden die Fertigprodukte vom Lager der Nähwerkstatt zum Lager des Unternehmens in Deutschland transportiert, so gelten die Produktionsdienstleistungen als an den Hauptsitz des Unternehmens in Deutschland erbracht und sind an dem nach Art. 28b Abs. 1 des polnischen USt-Gesetzes bestimmten Ort, d.h. in Deutschland, zu versteuern.
- Wenn jedoch die Fertigprodukte vom Lager der Nähwerkstatt direkt zu den B2B-Kunden des Unternehmens in anderen EU-Ländern oder in das Lager des E-Commerce-Unternehmens transportiert werden, von dem die Fertigprodukte dann an die B2C-Kunden des Unternehmens versandt werden, gelten die Produktionsdienstleistungen als an die feste Niederlassung des Unternehmens in Polen erbrachte Leistungen und sollen an dem nach Art. 28b Abs. 2 des polnischen USt-Gesetzes bestimmten Ort, d.h. in Polen, besteuert werden.
Abrechnung der Dienstleistungen des E-Commerce-Unternehmens
Laut Auskunft der Steuerbehörden gelten die Dienstleistungen des E-Commerce-Unternehmens als an die feste Niederlassung des Unternehmens in Polen erbrachte Leistungen und sollen an dem nach Art. 28b Abs. 2 des polnischen USt-Gesetzes bestimmten Ort, d.h. in Polen, besteuert werden. Das E-Commerce-Unternehmen besitzt keinen Sitz und keine feste Niederlassung in Polen, daher ist Art. 17 Abs. 1 Pkt. 4 des polnischen USt-Gesetzes anwendbar, d.h. die deutsche Gesellschaft sollte als Erwerber den Dienstleistungserwerb im Reverse-Charge-Verfahren in Polen abrechnen.
Fazit
Es gilt zu betonen, dass diese Steuerauskunft einen konkreten Fall betrifft. Daher ist immer im Einzelfall zu prüfen, ob eine feste Niederlassung vorliegt. Plant ein ausländisches Unternehmen eine Zusammenarbeit mit einem polnischen Hersteller, erhöht dies das Risiko, dass die Steuerbehörden von einer festen Niederlassung ausgehen.
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