Seit Ende 2019 ist eine Reihe von innerpolnischen Transaktionen im sogenannten Split-Payment-Mechanismus abzurechnen. Folglich kann sich auf dem MwSt-Sperrkonto eines Steuerzahlers ein Betrag ansammeln, dessen Überweisung auf das allgemeine Geschäftskonto bei der zuständigen Behörde beantragt werden kann. Hat der Antragsteller keine Steuerrückstände und besteht keine begründete Befürchtung, dass solche entstehen, werden die Mittel grundsätzlich überwiesen. Nach dem jüngsten Urteil I SA/Łd 771/21 des Wojewodschaftlichen Verwaltungsgerichts in Łódź vom 16.12.2021 haben potenzielle Unregelmäßigkeiten seitens des Kontrahenten, die im Laufe des in Zusammenhang mit dem Antrag durchgeführten Verfahrens festgestellt wurden, keinen Einfluss auf die Entscheidung über die Freigabe der beantragten Summe.
Verpflichtendes Split-Payment-Verfahren in Polen
Der obligatorische Mechanismus der „geteilten Zahlung“ wurde in Polen am 1. November 2019 eingeführt. Eine Rechnung muss in diesem Verfahren beglichen werden, wenn sie:
- in Anlage 15 zum polnischen USt-Gesetz aufgeführte Waren oder Dienstleistungen (z.B. Stahlerzeugnisse, Kraftstoffe oder Bauarbeiten) umfasst und
- der Bruttowert einer Rechnung mindestens 15.000 PLN (oder den Gegenwert in Fremdwährung) ausmacht.
Dieser Mechanismus betrifft nur die innerpolnischen Business-to-Business-Transaktionen, er gilt aber sowohl für polnische als auch für ausländische Unternehmen. Die Nichtbefolgung der Vorschriften bezüglich des Split-Payment-Verfahrens durch Verkäufer oder Käufer zieht negative Konsequenzen nach sich, wie Geldstrafen oder solidarische Haftung für die Steuerrückstände des Verkäufers.
Eine Split-Payment-Überweisung erfolgt als Verbuchung der Zahlung durch die Bank auf das allgemeine Geschäftsbankkonto, auf dem der Nettobetrag eingeht, sowie auf das gesonderte MwSt-Sperrkonto für den MwSt-Betrag. Die Mittel vom dem MwSt-Sperrkonto dürfen nicht frei verwendet werden; die Steuerzahler können dem MwSt-Sperrkonto gutgeschriebene Mittel grundsätzlich nur für Zahlungen auf das MwSt-Sperrkonto eines anderen Steuerpflichtigen oder zur Zahlung von Steuerverbindlichkeiten an das Finanzamt oder von Sozialversicherungen an die polnische Sozialversicherungsanstalt benutzen.
Jeder Steuerpflichtige kann eine Überweisung der Mittel von seinem MwSt-Sperrkonto auf sein allgemeines Geschäftsbankkonto beantragen. Die Steuerbehörde soll innerhalb von 60 Tagen das Recht auf diese Freigabe prüfen, was mit Prüfungstätigkeiten verbunden ist. Hat der Antragsteller Steuerrückstände oder befürchtet die Steuerbehörde, dass solche eintreten, kann der Antrag abgelehnt werden.
Schilderung des Sachverhalts zum Urteil I SA/Łd 771/21
Im Jahr 2020 beantragte ein Steuerzahler beim Leiter des Finanzamts in Łódź die Freigabe von Mitteln in Höhe von 20.000 PLN von seinem MwSt-Sperrkonto auf sein allgemeines Geschäftsbankkonto. Die Behörde erster Instanz verweigerte jedoch die Zustimmung zur Überweisung des Geldes. Aufgrund der Informationen, die sie im Laufe des im Zusammenhang mit dem eingereichten Antrag durchgeführten Verfahrens gesammelt hatte, bestand eine begründete Furcht, dass Mehrwertsteuer- und Einkommensteuerrückstände entstehen. Bei der Rechtfertigung ihres Standpunkts bezog sich die Behörde allerdings nicht auf potenzielle Unregelmäßigkeiten seitens des Antragstellers, sondern bei seinem Kontrahenten. Sie wies unter anderem darauf hin, dass:
- der Geschäftspartner des Steuerpflichtigen in seinen Steuererklärungen nur einen kleinen Teil der Rechnungen meldete, aus denen der Steuerzahler die Mehrwertsteuer abzog, und
- der Kontrahent nicht als Lohnzahler registriert ist, obwohl die Erbringung der Dienstleistungen, die in den vom Kläger vorgelegten Rechnungen genannt wurden, eine entsprechende personelle und maschinelle Ausstattung erfordert.
Der Steuerzahler legte beim Direktor der Steuerverwaltungskammer in Łódź Berufung gegen die negative Entscheidung ein. Wie im Falle der Vorinstanz wurde sein Antrag auf Überweisung abgewiesen.
Schließlich focht der Steuerzahler die Verweigerung vor dem Wojewodschaftlichen Verwaltungsgericht in Łódź an und warf der Steuerverwaltungskammer eine Verletzung des materiellen und Verfahrensrechts vor. Seiner Ansicht nach rechtfertigten die Umstände, die sich ausschließlich auf seinen Kontrahenten bezogen – also dessen Handlungen, Unterlassungen und die allgemeine Situation – keine begründete Furcht vor Steuerrückständen und die daraus resultierende Verweigerung, die Mittel vom MwSt-Sperrkonto auf das allgemeine Geschäftskonto zu überweisen. Er wies auch auf die fehlerhafte Durchführung des Verfahrens durch die Steuerbehörde und ihre Passivität bei der langwierigen Steuerprüfung hin.
Die Entscheidung des Wojewodschaftlichen Verwaltungsgerichts in Łódź
Im vorliegenden Fall betrifft der Rechtsstreit die Bestimmung, ob angesichts des Sachverhalts eine begründete Befürchtung besteht, dass Steuerrückstände oder eine zusätzliche Steuerschuld festgestellt werden. Entscheidend für Richtigkeit einer ablehnenden Entscheidung über die Freigabe der Mittel vom MwSt-Sperrkonto auf das allgemeine Geschäftsbankkonto ist der Nachweis, dass eine solche Befürchtung gerechtfertigt ist. Dieser muss von der Steuerbehörde im Hinblick auf das gesammelte Beweismaterial erbracht werden. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts kann eine begründete Furcht u.a. durch folgende Umstände gerechtfertigt sein:
- eine kritische Situation des Steuerzahlers, die durch besondere Umstände gegeben ist;
- Veräußerung von Vermögen durch den Steuerzahler;
- ein Vergleich der Höhe der Steuerruckstände mit dem Einkommen des Antragstellers;
- die Tatsache, dass die bisherigen Verbindlichkeiten nicht fristgemäß beglichen wurden.
Im Urteil wurde außerdem festgestellt, dass die Analyse der oben aufgeführten Faktoren nur den Antragsteller betrifft und nicht andere Subjekte, einschließlich seiner Geschäftspartner.
In Anbetracht des Sachverhalts ist nach Auffassung des Wojewodschaftlichen Verwaltungsgerichts der Standpunkt der Steuerbehörde nicht rechtens. Es weist daraufhin, dass die Behörde in der Begründung der angefochtenen Entscheidung Informationen über die Handlungen des Kontrahenten des Klägers und nicht des Steuerzahlers anführt. Darüber hinaus sollte einer Verweigerung des Antrags die Feststellung vorausgehen, ob die Entstehung von Steuerrückständen tatsächlich realistisch ist. Die Behörde hat diese jedoch nicht nachgewiesen, da sie die Höhe der möglichen Rückstände nicht einmal annähernd voraussagte. Sie stellte auch keine Gefahr fest, dass dieser Betrag in Anbetracht der wirtschaftlichen Lage des Steuerzahlers und der in der Vergangenheit nicht bezahlten Verbindlichkeiten nicht beglichen werden könnte.
Das Wojewodschaftliche Verwaltungsgericht in Łódź stimmte dem Steuerpflichtigen zu, dass die Entscheidung der Steuerbehörde gegen das materielle und Verfahrensrecht verstieß und hob sie auf. Dieses Urteil ist nicht rechtskräftig, es wird vom Obersten Verwaltungsgericht geprüft.
Fazit
Steuerpflichtige, die Zahlungen im Split-Payment-Mechanismus tätigen und empfangen, haben das Recht, die Überweisung der Mittel vom MwSt-Sperrkonto auf Geschäftsbankkonto zu beantragen. Nach den USt-Vorschriften kann jedoch der Antrag eines Steuerzahlers abgelehnt werden, wenn er Steuerrückstande hat oder eine gerechtfertigte Befürchtung besteht, dass solche eintreten. Das Urteil I SA/Łd 771/21 des Wojewodschaftlichen Verwaltungsgerichts stellt klar, dass die Freigabe der Mittel vom MwSt-Sperrkonto des Steuerzahlers aufgrund von Unregelmäßigkeiten beim Kontrahenten nicht verweigert werden darf.
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