EuGH entscheidet: Darf der Vorsteuerabzug vom Erhalt der Rechnung abhängig gemacht werden?
Die Frage, ob der Vorsteuerabzug vom Erhalt einer Rechnung abhängig gemacht werden darf, steht derzeit im Fokus der polnischen Rechtsprechung und könnte weitreichende Konsequenzen für die gesamte Europäische Union haben.
Der Kern des Problems
Gemäß Artikel 86 Absatz 10 des polnischen Umsatzsteuergesetzes entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug nicht früher als in dem Abrechnungszeitraum, in dem der Steuerpflichtige die Rechnung erhalten hat. Im Gegensatz dazu besagt die EU-Mehrwertsteuerrichtlinie, dass der Besitz einer korrekt ausgestellten Rechnung lediglich eine Voraussetzung für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts ist, nicht aber für dessen Entstehung.
Verfahren vor der Steuerbehörde
Die Abrechnungsstelle der Warenbörse, die Transaktionen ihrer Mitglieder abrechnet, wandte sich mit einem Antrag auf verbindliche Auskunft an die polnische Steuerbehörde. Sie wollte klären, ob sie das Recht hat, die Vorsteuer für den Zeitraum abzuziehen, in dem die Steuerpflicht entstanden ist, selbst wenn die entsprechenden Rechnungen erst im folgenden Abrechnungszeitraum, jedoch vor Einreichung der Steuererklärung, eingegangen sind.
Die Steuerbehörde lehnte diese Interpretation ab und betonte, dass das Recht auf Vorsteuerabzug erst in dem Zeitraum entsteht, in dem die Rechnung tatsächlich empfangen wurde.
Entscheidung des Woiwodschaftsverwaltungsgerichts (WSA), Aktenzeichen: III SA/Wa 2881/19
Die Abrechnungsstelle legte gegen diese Entscheidung Beschwerde beim WSA in Warschau ein. Sie argumentierte, dass die polnischen Vorschriften nicht im Einklang mit dem EU-Recht stehen und die Neutralität der Umsatzsteuer beeinträchtigen. Das WSA wies die Beschwerde jedoch ab und bestätigte die Position der Steuerbehörde. Das Gericht stellte fest, dass die polnischen Regelungen weder die Neutralität des Steuersystems verletzen noch gegen EU-Recht verstoßen.
Vorgehen beim Obersten Verwaltungsgericht (NSA)
Unzufrieden mit der Entscheidung des WSA, brachte die Abrechnungsstelle den Fall vor das NSA. Das NSA äußerte Zweifel an der Vereinbarkeit der polnischen Vorschriften mit dem EU-Recht, insbesondere hinsichtlich der Bedingung, dass der Vorsteuerabzug vom Erhalt der Rechnung abhängig gemacht wird. Am 2. Oktober entschied das Gericht, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu richten, um diese grundlegende Frage zu klären.
Bedeutung für die Steuerpflichtigen
Die bevorstehende Entscheidung des EuGH ist von großer Bedeutung. Sollte der Gerichtshof feststellen, dass das polnische Umsatzsteuergesetz nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist, könnten Steuerpflichtige das Recht haben, die Vorsteuer bereits in dem Monat abzuziehen, in dem die Steuerpflicht entstanden ist, sofern sie die Rechnung bis zum Fälligkeitsdatum der Steuererklärung erhalten haben.
Auswirkungen auf die EU-Mitgliedstaaten
Die Entscheidung des EuGH wird nicht nur für Polen relevant sein. In mehreren EU-Ländern ist der Vorsteuerabzug ebenfalls an den Erhalt der Rechnung gekoppelt. Eine Klarstellung durch den EuGH könnte daher zu einer Anpassung der nationalen Umsatzsteuergesetze in diesen Ländern führen und die Harmonisierung des Mehrwertsteuersystems innerhalb der EU vorantreiben.
Fazit
Die Klärung dieser Rechtsfrage durch den EuGH wird mit Spannung erwartet. Sie berührt grundlegende Prinzipien des Umsatzsteuerrechts und könnte erhebliche Auswirkungen auf die Praxis der Steuerpflichtigen in der gesamten Europäischen Union haben.
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