Kontext des Urteils: Der Fall eines polnischen Chemietrainers
Im Zentrum des Falls steht ein polnischer Unternehmer, der Online-Maturakurse in Chemie anbietet. Obwohl er ein Pharmazie-Studium abgeschlossen hat – mit Chemie als Hauptbestandteil – besitzt er kein pädagogisches Staatsexamen oder ein abgeschlossenes Studium im Fach Chemie. Er stellte einen Antrag auf eine individuelle Auslegung (Interpretation) bei der polnischen Steuerbehörde gemäß Art. 43 Abs. 1 Nr. 27 des polnischen USt-Gesetzes, der eine Steuerbefreiung für privaten Unterricht durch Lehrer vorsieht.
Die Steuerbehörde folgte der Argumentation im Antrag auf individuelle Auslegung nicht und kam in seiner Auslegung zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller kein „Lehrer“ im Sinne des Umsatzsteuergesetzes sei, da er kein Fachstudium im unterrichteten Bereich abgeschlossen habe.
Gerichtliche Entscheidung: Befreiung auch ohne Fachstudium möglich
Sowohl das Wojewodschaftsverwaltungsgericht in Posen (WSA) als auch der Oberste Verwaltungsgerichtshof (NSA) stellten sich gegen die restriktive Auslegung der Steuerbehörde. Sie wiesen darauf hin:
- Der Begriff „Lehrer“ ist im Gesetz nicht definiert und sollte im allgemeinen (sprachlichen) Sinn verstanden werden.
- Die USt-Befreiung bezieht sich auf die Funktion des Wissenstransfers im Rahmen des allgemeinen oder höheren Bildungswesens – nicht auf formelle Titel oder universiäre Abschlüsse in einem spezifischen Fach.
- Art. 43 Abs. 1 Nr. 27 der polnischen USt-Gesetzgebung basiert auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Mehrwertsteuerrichtlinie der EU. Laut Rechtsprechung des EuGH (z. B. Rs. C-473/08) kann auch eine Person ohne Lehrerstatus im engeren Sinn unter diese Vorschrift fallen.
Implikationen für internationale Bildungsanbieter
Bevor internationale Veranstalter von Schulungen oder wissenschaftlichen Konferenzen in Polen auf eine USt-Befreiung nach diesem Urteil bauen, ist ein wichtiger Hinweis notwendig: Derzeit handelt es sich lediglich um ein Urteil in einer individuellen Angelegenheit. Es hat zwar richtungsweisenden Charakter, aber keine allgemeine Bindungswirkung für andere Steuerpflichtige. Das bedeutet, dass sich andere Anbieter nicht automatisch auf dieses Urteil berufen können. Wer als ausländischer Anbieter eine ähnliche Tätigkeit in Polen plant und die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen möchte, sollte zur rechtlichen Absicherung unbedingt eine eigene individuelle Auskunft (Interpretation) der polnischen Finanzverwaltung beantragen. Nur so lässt sich vermeiden, dass das Finanzamt die Steuerfreiheit später infrage stellt.
- Chancen für ausländische Referenten ohne Lehrdiplom
Bisher galt in Polen eine eher enge Auslegung: Nur wer eine formale Lehrerqualifikation besitzt, könne von der USt-Befreiung für Bildungsleistungen profitieren. Doch nun zeigt das NSA-Urteil: Entscheidend ist die tatsächliche Qualifikation zur Wissensvermittlung – nicht das formale Lehramt.
- Relevanz für wissenschaftliche Konferenzen mit Schulungscharakter
Die Entscheidung stärkt auch Veranstalter wissenschaftlicher Tagungen mit Schulungsinhalten. Wenn Inhalte gezielt Wissen auf dem Niveau der schulischen oder universitären Ausbildung vermitteln und dies durch qualifizierte Referenten erfolgt, besteht die Möglichkeit, sich auf die USt-Befreiung nach Art. 43 Abs. 1 Nr. 27 UStG zu berufen.
- Anforderungen: Wissen und Eigenverantwortung
Das Gericht betont ausdrücklich, dass eine gewisse Fachkenntnis und die Eigenverantwortung des Vortragenden zentrale Kriterien sind. Wer also über ein einschlägiges Studium oder vergleichbare Kenntnisse verfügt und in eigenem Namen handelt (z. B. als freier Redner oder Selbständiger), kann die Voraussetzungen erfüllen.
Fazit: Weitreichende Öffnung für die Bildungsbranche
Das Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts ist ein potenzieller „Gamechanger“ für Bildungsanbieter aus dem Ausland, die in Polen tätig werden wollen. Es stellt klar, dass auch ohne formales Lehramt eine USt-Befreiung möglich ist – sofern die Tätigkeit dem Bildungsziel dient und die Lehrperson über hinreichende fachliche Qualifikation verfügt. Für internationale Veranstalter lohnt sich künftig ein prüfender Blick auf dieses Urteil – es könnte der Schlüssel zur steuerfreien Durchführung von Konferenzen, Seminaren oder Kursen in Polen sein.
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