Forderungsabschreibung nach dem polnischen USt-Gesetz

Gemäß Art. 89a des polnischen USt-Gesetzes kann ein Steuerpflichtiger die Bemessungsgrundlage und die geschuldete Steuer dann berichtigen, wenn die Uneinbringlichkeit glaubhaft gemacht worden ist. Die Uneinbringlichkeit einer Forderung gilt dann als glaubhaft, wenn die Forderung innerhalb von 90 Tagen nach dem Tag des Ablaufs ihrer im Vertrag oder in der Rechnung bestimmten Zahlungsfrist weder beglichen noch in irgendeiner Form veräußert worden ist. Die Berichtigung betrifft auch die Bemessungsgrundlage und den Steuerbetrag, der auf den Teil des Betrages der Forderung entfällt, deren Uneinbringlichkeit glaubhaft gemacht worden ist.

Forderungsabschreibung

Zur Erstellung der Berichtigung  müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein, so z.B. der Status des aktiven Steuerpflichtigen sowohl des Gläubigers als auch des Schuldners zum Vortag der Berichtigung sowie  kein laufendes Umstrukturierungsverfahren beim Schuldner (die detaillierten Informationen hierzu finden Sie in unserem vorherigen Artikel – link). Aus der letzten Aussage der Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs, Juliane Kokott, ergibt sich jedoch, dass die oben erwähnten vom polnischen Gesetzgeber eingeführten Voraussetzungen möglicherweise nicht mit den EU-Vorschriften konform sind.

Übereinstimmung der gemeinschaftlichen und polnischen Vorschriften

Die Regelungen über die Verminderung der Bemessungsgrundlage sind im Artikel 90 der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem festgelegt. Die Verminderung erfolgt zu den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen. Im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung können die Mitgliedstaaten von der Verminderung der Bemessungsgrundlage abweichen. Die nationalen Vorschriften sollen die genaue Erhebung der Steuer sicherstellen und Steuerhinterziehungen verhindern, sie dürfen allerdings nicht über die Erreichung dieser Ziele hinausgehen und die Neutralität der Mehrwertsteuer nicht in Frage stellen (Art. 273 der Richtlinie 2006/112/EG).

Bei polnischen Steuerpflichtigen bestehen Zweifel, ob die oben beschriebenen Voraussetzungen aus dem polnischen USt-Gesetz, die den Status des Schuldners (d.h. Status des aktiven polnischen Umsatzsteuerpflichtigen sowie kein laufendes Umstrukturierungsverfahren) betreffen, tatsächlich mit den EU-Vorschriften übereinstimmen. Vor allem in Corona-Zeiten, wenn mehrere Unternehmen ihre Liquidität verlieren und somit Konkurs beantragen, kann ein Steuerpflichtiger nicht voraussehen, ob sein Geschäftspartner sich in den kommenden Monaten in einem Umstrukturierungsverfahren befinden wird.

Die endgültige Antwort rückt näher

In Kürze ist mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C‑335/19 in Bezug auf die polnischen Vorschriften  zu rechnen, die die Berichtigung der Bemessungsgrundlage und des Steuerbetrags betreffen. Der polnische Oberste Verwaltungsgerichtshof richtete an den Europäischen Gerichtshof die Frage, ob die Berichtigung vorgenommen werden kann, nachdem ein Steuerpflichtiger zuerst eine Dienstleistung erbracht und eine Rechnung erstellt hatte, und der Schuldner kurz darauf das Liquidationsverfahren eröffnete. Der Sachverhalt betraf eine polnische Steuerberatungsgesellschaft, die von einem Kunden keine Bezahlung erhielt (zu dieser Zeit konnte die Berichtigung erst nach 150 Tagen nach Ablauf der Zahlungsfrist vorgenommen werden, aktuell sind es 90 Tage).

In dieser Rechtssache gab die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs, Juliane Kokott, am 04.06.2020 ein Gutachten heraus, in dem sie feststellte, dass Ihrer Meinung nach die in Art. 89a des polnischen USt-Gesetzes eingeführten Bedingungen zu restriktiv sind und weder mit den EU-Vorschriften noch der EU-Rechtsprechung in Einklang stehen. Sie gelangte zu der Auffassung, dass Art. 90 der Richtlinie 2006/112/EG die Berichtigung der Bemessungsgrundlage ermöglicht, auch wenn die Gegenleistung ganz oder teilweise nicht bezahlt wird. Der Ausschluss dieser Möglichkeit für Warenlieferungen und Dienstleistungen, wie in diesem Fall, ist keine formelle Bedingung, sondern eine materielle Abweichung. Um zulässig zu sein, müsste sich diese materielle Abweichung im Fall der Nichtzahlung des Preises daher auf die Unsicherheit beziehen, ob die Gegenleistung endgültig oder nur vorläufig nicht erbracht wurde. Der Leistungsempfänger befindet sich aber in einem Insolvenz- bzw. Liquidationsverfahren, also in einem Zustand, der die Endgültigkeit der Nichtbezahlung bestätigt.  Die Generalanwältin erwähnte hierzu die früheren Urteile des Europäischen Gerichtshofs: C-242/18 vom 3. Juli 2019, C‑127/18 vom 8. Mai 2019, C‑246/16 vom 23. November 2017, in denen eine ähnliche Auffassung dargelegt wurde.

Darüber hinaus ist für Juliane Kokott nicht klar, wie die Einschränkung der Berichtigung der Steuerschuld ab Eintritt eines bestimmten Ereignisses, auf das das leistende Unternehmen keinen Einfluss hat, geeignet sein sollte, einen Mehrwertsteuermissbrauch zu bekämpfen. Hier handelt es sich nicht nur um die Eröffnung eines Umstrukturierungsverfahrens vom Schuldner, sondern auch um die Abmeldung des Schuldners von der Umsatzsteuer, die direkt von ihm oder  vom  Finanzamt vorgenommen werden kann.

Das Gutachten von Generalanwältin Kokott ist nicht rechtsverbindlich. Wir warten deshalb auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs und halten Sie selbstverständlich auf dem Laufenden.

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