Die Frage, ob ein ausländischer Unternehmer in Polen über eine feste USt-Niederlassung im Sinne des polnischen Umsatzsteuergesetzes und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 verfügt, hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Zwei aktuelle Urteile des Obersten Verwaltungsgerichts Polens (NSA) vom 9. April 2025 (Az. I FSK 2265/21 und I FSK 2289/21) führen diesen Diskurs in eine neue Richtung: Ohne eigenes, abgrenzbares Vermögen des Leistungsempfängers in Polen kann keine feste USt-Niederlassung begründet werden.
Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt
Die Urteile betreffen zwei nahezu identische Fälle: Eine polnische Gesellschaft erbrachte Dienstleistungen der Materialverarbeitung für ihre verbundenen Unternehmen mit Sitz in Belgien und den Niederlanden. Die Frage war, ob diese ausländischen Gesellschaften in Polen eine feste USt-Niederlassung im Sinne des Art. 28b Abs. 2 des polnischen Umsatzsteuergesetzes und im Sinne der Vorschriften der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 besitzen.
Der polnische Dienstleister nutzte ausschließlich eigene Mitarbeiter, eigene Produktionsmittel und eigene Lagerflächen. Die belgische bzw. niederländische Gesellschaft besaßen in Polen weder Immobilien noch Infrastruktur, tätigten keine Verwaltungsentscheidungen vor Ort und hatten kein Weisungsrecht gegenüber dem polnischen Dienstleister.
Position der polnischen Finanzverwaltung
Der Direktor der Nationalen Informationsstelle (DKIS) vertrat die Auffassung, dass die ausländischen Gesellschaften über eine feste USt-Niederlassung in Polen verfügen. Seine Argumentation stützte sich auf:
- die Dauerhaftigkeit der Zusammenarbeit,
- die Nutzung der Infrastruktur des polnischen Dienstleisters,
- die Kontrolle über die Art und Weise der Verarbeitung durch Vorgaben und Spezifikationen.
DKIS folgerte daraus, dass die in Polen ausgeübten Tätigkeiten der ausländischen Gesellschaften ausreichend strukturiert und dauerhaft seien, um eine feste USt-Niederlassung zu begründen.
Die Gerichte sagen klar: Nein
Sowohl das Wojewodschaftsverwaltungsgericht in Warschau (WSA, polnisches Verwaltungsgericht erster Instanz) als auch das Oberste Verwaltungsgericht (NSA, polnisches oberstes Verwaltungsgericht) wiesen diese Sichtweise zurück.
- Keine ausreichende Kontrolle über fremdes Personal und Technik
Die Gerichte stellten klar: Es reicht nicht aus, dass die Dienstleistungen nach den Spezifikationen des Auftraggebers erbracht werden. Dies sei in der Wirtschaft übliche Praxis und begründe keine Kontrolle im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie und der Durchführungsverordnung (Art. 11 Abs. 1 VO 282/2011/EU).
- Entscheidungen werden nicht in Polen getroffen
Sowohl WSA als auch NSA betonten, dass operative und geschäftliche Entscheidungen durch die ausländische Gesellschaft außerhalb Polens getroffen wurden. Eine feste USt-Niederlassung muss jedoch in der Lage sein, eigenständige Entscheidungen vor Ort zu fällen.
- Kein eigenes Vermögen in Polen
Der entscheidende Punkt der Urteile: Eine feste USt-Niederlassung erfordert Vermögenswerte des ausländischen Leistungsempfängers, die eigenständig und von jenen des Dienstleisters abgrenzbar sind. Es darf sich dabei nicht um dieselben Ressourcen handeln, die der Dienstleister zur Erbringung seiner Leistungen nutzt. Zwar kann in bestimmten Fällen die Kontrolle über fremde Infrastruktur einer eigenen gleichgestellt werden, doch im vorliegenden Fall wurde eine solche Kontrolle durch den ausländischen Auftraggeber gerade nicht festgestellt. Der Dienstleister arbeitete auf eigene Rechnung, mit eigenem Lager, eigenen Maschinen und eigenem Personal.
Der ausländische Auftraggeber stellte nur Rohstoffe zur Verfügung, ohne Eigentum oder Nutzungsrechte an den produktiven Ressourcen in Polen zu haben. Das NSA verwies explizit auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 13. Juni 2024, Rs. C-533/22), wonach keine feste USt-Niederlassung vorliegt, wenn kein eigenständiges Vermögen des Auftraggebers vorhanden ist.
Fazit
Die Entscheidungen des NSA stellen klar: Der Begriff „feste USt-Niederlassung” setzt eine funktional unabhängige Struktur mit eigenem Vermögen voraus. Diese Rechtsprechung bringt Klarheit für grenzüberschreitende Liefer- und Leistungsketten, reduziert die Risiken fehlerhafter USt-Abrechnung und stellt sich eindeutig gegen eine zu weite Auslegung durch die polnische Finanzverwaltung.
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