Hintergrund
Die Rechtssache, in der das Urteil veröffentlicht wurde, betraf die österreichische Gesellschaft Vega International, deren Tätigkeit darin bestand, Fahrzeuge von der Fabrik zum Kunden zu transportieren. Mit dem Transport der Fahrzeuge durch Polen beauftragte sie die polnische Tochtergesellschaft Vega Poland. Die Fahrzeuge wurden mithilfe von auf den Namen des Fahrers ausgestellten Tankkarten betankt. Aus organisatorischen Gründen und wegen der Höhe der Kosten wurden alle Tankkartenumsätze durch die Muttergesellschaft in Österreich zentralisiert, die von den Kraftstoffanbietern Rechnungen erhielt. Am Ende des jeweiligen Monats stellte Vega International an die polnische Gesellschaft eine Gesamtrechnung für alle Transaktionen mit Tankkarten (diese Rechnungen umfassten die Kraftstoffkosten Netto mit einem Zuschlag von 2%) aus, während die polnische Gesellschaft berechtigt war, diese entweder mit Rechnungen an die österreichische Gesellschaft zu verrechnen, oder sie innerhalb von ein bis drei Monaten zu begleichen.
Vorlagefrage
Vor diesem Hintergrund kamen die Steuerbehörde sowie das Wojewodschaftliche Verwaltungsgericht in Warschau zu dem Schluss, dass es hier nicht zu einer Warenlieferung durch die österreichische an die polnische Gesellschaft kommt. Das Oberste Verwaltungsgericht hat an den EuGH die Frage gerichtet, ob es sich bei der Bereitstellung von Tankkarten sowie dem Aushandeln, der Finanzierung und der Abrechnung des Erwerbs von Kraftstoffen unter Verwendung dieser Karten um die Gewährung und Vermittlung von Krediten im Sinne von Art. 135 Abs. 1 Buchst. b Richtlinie 2006/112 des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem handelt, oder ob diese Handlungen als Reihengeschäfte eingestuft werden können, deren Hauptzweck die Lieferung von Kraftstoff ist.
Kreditgewährung oder Lieferungen
Der EuGH stellte fest, dass die Bereitstellung von Tankkarten durch eine Muttergesellschaft für ihre Tochtergesellschaft, die dieser das Betanken der Fahrzeuge ermöglichen, als von der Umsatzsteuer befreite Gewährung eines Kredits eingestuft werden kann.
Der EuGH begründete dies damit, dass Vega Poland, mit den von der österreichischen Muttergesellschaft erhaltenen Tankkarten den Kraftstoff direkt bei den Anbietern und nach eigenem Ermessen kaufte. Insbesondere entschied die Tochtergesellschaft über die Modalitäten des Kraftstoffkaufs, da sie wählen konnte, bei welcher der zur Auswahl stehenden Tankstellen sie das Fahrzeug betankte. Sie konnte auch über die Qualität, die Menge, die Art des Kraftstoffs sowie den Zeitpunkt des Kaufs und die Art der Verwendung frei entscheiden. Demzufolge war der EuGH der Auffassung, dass die Muttergesellschaft im vorliegenden Fall über den Kraftstoff, für dessen Kauf sie die Erstattung der Mehrwertsteuer beantragte, nicht wie ein Eigentümer verfügte. Im vorliegenden Fall tätigte also die österreichische Muttergesellschaft keine Lieferung von Kraftstoff. Stattdessen erbrachte Vega International eine Finanzdienstleistung an Vega Poland, indem sie den Kauf von Kraftstoff vorfinanzierte; hierbei fungierte sie wie ein gewöhnliches Finanz- oder Kreditinstitut.
Welche Folgen hat das EuGH-Urteil?
Sollte auf den Vermittler keine Verfügungsmacht am Kraftstoff übertragen werden, könnte das EuGH-Urteil Konsequenzen für jeden Unternehmer in der Kette haben. Insbesondere hat der Vermittler (hier: Vega International) angesichts des Urteils kein Recht auf Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Tankstellen, die den Kauf von Kraftstoff mit Tankkarten dokumentieren.
Rein theoretisch lässt sich das Urteil nicht automatisch auf vergleichbare Fälle übertragen. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Steuerbehörde und die Verwaltungsgerichte den Standpunkt des EuGH vertreten werden. So ist das Oberste Verwaltungsgericht kürzlich im Fall unseres Mandanten der Argumentation des EuGH gefolgt, obwohl sich die Merkmale der Transaktionen unterschieden. In der mündlichen Begründung hieß es, das Oberste Verwaltungsgericht werde sich bei Streitfällen über die umsatzsteuerliche Behandlung von Transaktionen unter Verwendung von Tankkarten auf das EuGH-Urteil berufen.
Quelle: Urteil des EuGH vom 15.05.2019, C-235/18, Vega International Car Transport and Logistic
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