Hintergrund

Eine deutsche Gesellschaft hat für 2014 nach der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 bei den französischen Steuerbehörden die MWSt-Erstattung beantragt. Gemäß den französischen Steuervorschriften zur Umsetzung des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie hat sie bis zum 31.09.2015 einen entsprechenden Antrag gestellt.

Die französischen Steuerbehörden baten die Gesellschaft daraufhin, innerhalb eines Monats (gemäß den französischen Steuervorschriften zur Umsetzung des Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie) Erklärungen abzugeben. Die Gesellschaft kam dieser Aufforderung allerdings nicht nach Die französischen Steuerbehörden lehnten daher ihren Antrag auf MWSt-Erstattung ab.

Die Gesellschaft legte gegen die Entscheidung der Steuerbehörden Beschwerde beim Gericht ein.

MWSt-Rückerstattung

 Standpunkt des französischen Gerichts

Das französische Gericht setzte das Verfahren aus und verwies folgende Frage an den EuGH:

„Sind die Bestimmungen von Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2008/9 […] dahin auszulegen, dass mit ihnen eine Ausschlussvorschrift geschaffen wird, die bedeutet, dass ein Steuerpflichtiger […] Mängel seines Erstattungsantrags nicht vor dem zuständigen Richter beheben kann, wenn er die Frist für die Beantwortung eines Auskunftsersuchens […] nicht eingehalten hat, oder vielmehr dahin, dass der Steuerpflichtige im Rahmen des […] vorgesehenen Einspruchsrechts […] Mängel seines Antrags vor dem zuständigen Richter beheben kann?“

 Möglichkeit der MWSt-Rückerstattung im Rahmen der Beurteilung des EuGH

Der EuGH stellte fest, dass der Erstattungsanspruch ebenso wie das Recht auf Vorsteuerabzug ein Grundprinzip des durch das EU-Recht geschaffenen gemeinsamen MWSt-Systems darstellt, durch das der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten MWSt entlastet werden soll. Das Recht auf Vorsteuerabzug, und damit auch der Erstattungsanspruch, ist integraler Bestandteil des Mechanismus der EU-harmonisierten MWSt und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden.

Der EuGH hat den Wortlaut von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie (über die Frist für die Einreichung eines Antrags bis zum 31. September des Jahres, das auf das Jahr folgt, für das die Person eine MWSt-Erstattung beantragt), sowie von Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie (über die einmonatige Frist zu Beantwortung der Fragen der Steuerbehörden) untersucht.

Nach Ansicht des EuGH entstand  in Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie eine Ausschlussfrist, da in dem Artikel der Begriff „spätestens“ verwendet wird. Daher kann ein Antrag auf MWSt-Erstattung nicht nach Ablauf der in diesem Artikel vorgesehenen Frist gestellt werden.

Zu Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie stellt der EuGH jedoch fest, dass er zunächst nicht den Begriff „spätestens“ enthält. Außerdem gelte Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie nur für Steuerpflichtige, während Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie auch für andere Personen gelte, die den Steuerbehörden Erklärungen abzugeben haben.

Somit handelt es sich bei der in Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie  vorgesehenen Frist von einem Monat nicht um eine Ausschlussfrist. Folglich hatte die deutsche Gesellschaft Anspruch auf MWSt-Rückerstattung.

Polnische Steuerpraxis

Was die polnische Perspektive angeht, ist hier zu betonen, dass die Steuerpraxis in ähnlichen Fällen weniger restriktiv ist. Antragsteller, die die Erstattung der polnischen MWSt beantragen, können grundsätzlich sämtliche Erläuterungen bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Verfahrens (Ausgabe des Bescheids) bei der Steuerbehörde einreichen. Diese Erläuterungen werden in der Regel bei der Entscheidungsfindung immer berücksichtigt, auch wenn  die Fristen aus  Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2008/9 nicht eingehalten werden.

Quelle: Urteil des EuGH vom 02.05.2019, C-133/18, Sea Chefs Cruise Services GmbH

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