Hintergrund des Falls – Äpfel nach Belarus statt nach Litauen

Eine polnische Gesellschaft verkaufte Äpfel an einen britischen Abnehmer (A.E. LP), der in Lettland umsatzsteuerlich registriert war. Laut den vorliegenden CMR-Frachtbriefen sollten die Waren von Polen nach Litauen transportiert werden. Die Gesellschaft behandelte diese Lieferungen als innergemeinschaftliche Lieferungen (IGL) und wendete den Steuersatz von 0 % an.

Später stellte die polnische Finanzverwaltung fest, dass die Äpfel nicht nach Litauen, sondern direkt nach Belarus gelangten. Der Abnehmer hatte die Ware ohne Wissen des Verkäufers aus der EU ausgeführt – was durch Zolldaten und IE-599-Nachrichten belegt wurde.

Die Behörden argumentierten, dass keine IGL vorlag und der Vorgang als inländische Lieferung mit 5% USt zu behandeln sei. Außerdem verhängten sie eine 30%-Sanktion. 

Vorlagefragen des polnischen Gerichts (WSA Warschau)

 Der Administrative Verwaltungsgericht (WSA) in Warschau legte dem EuGH drei Fragen zur Auslegung von Art. 146 der UE-Mehrwertsteuerrichtlinie 2006/112 vor.
Kern der Fragen war, ob:

  • eine als innergemeinschaftliche Lieferung deklarierte Transaktion als Exportlieferung gelten kann, wenn der Abnehmer die Ware ohne Wissen des Lieferanten außerhalb der EU ausführt, und
  • ob das Fehlen korrekter Exportdokumente (z. B. IE-599 oder CC599C) allein die Steuerbefreiung ausschließen darf.

Entscheidung des EuGH – Objektive Fakten sind maßgeblich

Urteil des EuGH (C-602/24)

Der EuGH stellte klar, dass ein Export dann vorliegt, wenn das Recht zur Verfügung über den Gegenstand auf den Erwerber übergeht und die Ware physisch das Unionsgebiet verlässt – unabhängig von der subjektiven Absicht der Parteien.

Damit hat der Gerichtshof zwei wesentliche Grundsätze betont:

a) Vorrang der materiellen Voraussetzungen

  • Entscheidend ist die tatsächliche Lieferung und der physische Export.
  • Die ursprüngliche Erklärung als IGL oder die subjektive Absicht der Parteien spielt keine Rolle, wenn die Ware tatsächlich die EU verlässt.
  • Der Umstand, dass der Verkäufer den Export nicht selbst dokumentiert, sondern dieser erst durch die Finanzverwaltung festgestellt wird, schadet nicht.

b) Unverhältnismäßigkeit reiner Formalverstöße

  • Das Fehlen von Dokumenten wie IE599/CC599C darf nicht allein zur Versagung der Steuerbefreiung führen.
  • Wenn die Finanzbehörden sicher feststellen können, dass die Ware ausgeführt wurde, muss die Befreiung gewährt werden.
  • Nationale Vorschriften, die die Steuerfreiheit ausschließlich an formale Nachweispflichten knüpfen, gehen über das Erforderliche hinaus und verletzen die Grundsätze der Neutralität und Verhältnismäßigkeit.

 Fazit

 Der EuGH stellt in seinem Urteil zwei Grundpfeiler klar:

  1. Entscheidend sind die objektiven, materiellen Voraussetzungen des Exports – insbesondere die tatsächliche Ausfuhr der Waren. Die subjektive Absicht oder ursprüngliche Deklaration als innergemeinschaftliche Lieferung spielt keine Rolle.
  2. Eine Versagung der Steuerbefreiung allein wegen fehlender Dokumente ist unverhältnismäßig, wenn die Behörden den Export sicher nachweisen können. Nationale Vorschriften dürfen die Steuerfreiheit nicht ausschließlich von formalen Pflichten abhängig machen.

Damit stärkt der EuGH den Grundsatz der Steuerneutralität und betont, dass Realität Vorrang vor Formalismus hat.

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